Gestern nichtsofrüh zogen wir bei schönstem blauer-Himmel-Sonnenschein-Wetter ein zweites Mal los, um andere Ecken Lyons zu erkunden. Und, voila!, bei Sonnenschein sieht die Lyon-Welt doch gleich ganz anders aus! Ich zeige mich also durchaus bereit, meine Meinung über diese Stadt zumindest teilweise zu revidieren. Und abgesehen davon will ich ja auch keine Verleumdungsklage des OnlyLyon-Touristik-Departement-Chefs an der Hacke haben … (immerhin hat der ja den europäischen Smart-Touristik-Bembel gewonnen).
Frau Komoot schmollte etwas, weil ich es doch tatsächlich wagte, einen ANALOGEN Stadtplan mitzuführen (des Überblicks und der eingezeichneten Touri-Highlights wegen) und sie „nur“ zur digitalen Dokumentation der Tour abstellte. Sie murmelte etwas von „undankbarem Pack“ und trollte sich in die Jackentasche. Schweinehund trottete willig neben uns her und wurde regelmäßig mit Crêpes, unerwartet auftauchenden Fotomotiven oder den Scherzen des Bruders bei Laune gehalten.
Es macht mir sonst nichts aus, alleine mit Frau Komoot und Schweinehund durch die Welt zu trotten, denn es sind wirklichwirklich amüsante und treue Wegbegleiter. Aber manchmal ist es tatsächlich auch schön, einen Menschen aus Fleisch und Blut neben sich zu haben, zumal einen, mit dem die Plaudereien und Scherze so angenehm dahinplätschern.
Wie sich zeigte, kann auch Lyon mit tollen bourgeoisen Altstadthäusern aufwarten, die sich nebst blühenden Magnolienbäumchen oder gespiegelt in einer hochmodernen Glanzfassade ganz vorzüglich und prestigeträchtig ausnehmen.
Kontrastiert (fast möchte man sagen: konterkariert) wird die Pracht im Stadtteil Croix-Rousse, dem Lyoner „Viertel“ mit einer recht wilden und für BREMER „Viertel“-Menschlein sehr sympathischen Mischung aus trotzigem Understatement und Guerilla-Kunst, die zum Schmunzeln und Fotografieren einlädt. Dort wanderten wir durch die Straßen und Gassen, treppauf, treppab, ein Blick gen Osten auf das Mont Blanc-Massiv (welche Stadt kann DAS schon von sich sagen?), ein Blick gen Süden auf den Basiliken-Berg, dann über den Markt mit dem typisch-französischen gouter-et-acheter-Angebot (?) und …
… landeten an einer Stätte mit echtem Touri-Highlight-Potenzial, den Fresque des Lyonnais. Eine sieben Stockwerk hohe Hausfassade, alle Fensteröffnungen vollflächig zubetoniert und übermalt und so zu einem Riesen-Wandbild umgestaltet. Dargestellt sind Töchter und Söhne der Stadt mit mehr oder weniger historischer Relevanz und Prestige-Tracht. Dort trafen wir auch die üblichen Lyoner Verdächtigen wieder: Antoine und sein kleiner Prinz, der Kasper Guignol, die Brüder Lumière (die Erfinder des modernen Kinos wurden schändlicherweise noch gar nicht erwähnt) und Paul Bocuse … und wer genau hinsieht, findet noch ein weiteres bekanntes Gesicht! 😉
Ein weiteres Schmankerl bildete die Fahrt mit der klein-süß-roten Zahnradbahn hinauf auf den Basiliken-Berg. Dort gab’s gestern den Schönwetterblick Richtung Alpen mit schneebedecktem Mont Blanc (auf dem Panoramafoto hinter dem linken der beiden großen Türme) und ein paar vor sich hin modernde römische Amphitheater-Ruinen.
Der 08. März ist weltweiter Frauentag, und augenscheinlich hat das in Frankreich (oder auch nur in Lyon?) sehr viel mehr Relevanz als in deutschen Landen. Als wir vom Berg herunterkamen gerieten wir in die dazugehörige Demo, wobei nicht ganz klar wurde, wer da eigentlich wofür oder wogegen demonstrierte. Auch ohne Französischkenntnisse war die Vielfältigkeit der Banner, Pappschilder und Fahnen erkennbar … Ich denke, die Damen (und auch Herren) hatten sich dennoch grundsätzlich darauf geeinigt, dass sie Frauen ganz gut finden, egal ob sie das barbusig (ohne Foto), motorisiert aufm Bike, mit kämpferischen Kommunistenfahnen oder einfach nur sonntagsspazierend zum Ausdruck brachten. (Ich glaube, der Bruder war ein bisschen verschreckt…).
Apropos Bruder: Grund der Reise waren (ursprünglich mal) geschäftliche Recherchen am Flughafen Saint-Exupéry Lyon. Und so verbrachten wir den Abend und die Nacht dort mit abendlichen Rundgängen durch die Terminals sowie einem Abendessen und einer Übernachtung im Flughafen-Hotel. Praktisch! Denn dort konnte ich heute Morgen ganz wunderbar in meinen Lieblings-TGV steigen und in kürzester Zeit für wenig Geld wieder gen Süden fahren. Und da bin ich nun für die nächsten acht Tage: in Arles! Ich glaube, es ist Liebe auf den ersten Blick …
Der Bembel des gestrigen Frauentages geht an all die mutigen und kämpferischen Frauen der Weltgeschichte, die dafür gesorgt haben, dass ich heutzutage so unbeaufsichtigt und selbstbestimmt durch die französische Welt reisen darf – ganz ohne Ehemann oder Gouvernante!
























