Zwei mal böser Kater

Kinder, Kinder, bin ich durch! Regen, wenig Hütten-Schlaf, zu viele Schnäpse und noch mehr Höhenmeter sowie falschfalsche Abzweigungen machen das Wanderleben derzeit ganz schön anspruchsvoll. Nun sitze ich hier in meinem Ruhpoldinger Hotelzimmer und könnte mich auch gut zu Schweinehundchen und zwei mal böser Kater (der Muskel- und der andere) ins Bett kuscheln und wegdösen. Aber wenn ich jetzt nicht schreibe, tu ich‘s nimmermehr und das wär extrem schade um die Wanderabenteuer der letzten drei Tage.

Also von vorn:
Am Sonntagmorgen (01. August), erwachte ich in meinem Bettchen auf dem Hochries auf 1569 Meter in Nebel und Regenschwaden. Dennoch war ich ziemlich guter Dinge und auch Schweinehund versprühte erstaunlich gute Laune für so einen lumpigen Sonntag. Frau Komoot ist dankenswerterweise mit dem Äther verbunden und bei ihrer Führung durch die Wanderwelt nicht auf irdische Sicht angewiesen. Das wär sonst blöd gewesen.

Nach dem hervorragenden Frühstück machten wir uns also gut gelaunt auf den Weg Richtung Sonnenalm (haha!) und landeten dort nach knappen fünf Stunden wohlbehalten, aber eben immer noch im Nebeltief.

Es war fast mystisch, an diesem frühen Sonntagmorgen durch den Nebelniesel zu stapfen, durch die tropfnasse Bergwelt, die dank meines Regenponchos draußen blieb. Drinnen waren Orchestersuiten von Johann Sebastian aufm Ohr, was zur Stimmung und Sonntäglichkeit hervorragend passte.

Im Tal in Aschau angekommen, gab’s noch mehr Regen, missmutig umhertapsende Tagestouristen aus Österreich (is eh ums Eck) sowie ein verschlossenes Burgtor (öffnete erst, äh, später jedenfalls). Doch wir lesen beim Maximilian (auf dessen Weg ich wandle), wie‘s damals war auf der Burg Hohenaschau: „… große herrschaftliche Räume, deren Einrichtung bis auf die geringfügigste Einzelheit herab erhalten war, und keine Beschädigung an den alten, kostbaren Möbelstoffen zu sehen, als welche der Hauch der Zeit oder die Motten verübt hätten.“ Seit diesem für Aschau denkwürdigen 24. Juli 1858 ist viel Zeit mit noch mehr Hauch und Motten ins Land gegangen. Da ist sicherlich auch nicht mehr alles so ganz in Schuss. Aber wer weiß?!

Im Wirtshaus zum Baumbach kehrte ich ein auf ein Pfannkuchensüppchen (Schwäbisch: Flädlesupp; österreichisch: Frittatensupperl) und Reiberdatschi mit Apfelmus. Wenn‘s draußen grau war, war‘s drinnen dunkelgrau, ob der niedrigen Decke und kleinen Fenster des alten Gasthofes und bei Kerzenschein fühlte man sich wie kurz vor Weihnachten. Ein asiatischstämmiger Oberbayer führte das Regiment und dirigierte seine Mannschaft souverän durch den Sonntagmittag-Wahnsinn zwischen Feiern ortsansässiger Großfamilien (Auf di, Toni!), schlechtwetter-gestrandeten Touristen (Ach, wenn heut nur das Wetter besser wär!) und Reservierungsanfragen (Naa, derzeit nur drinnen, tschuldigens!). Corona gab‘s da jetzt auch nicht wirklich, wenn wir mal vom windschief in den Seilen hängenden Desinfektionsspender am Eingang absehen.

Nach dem Reiberdatschi war ich noch schläfriger als vorher, so dass ich in Schweinehunds Lied einfiel: Bahn fahr‘n, Bahn fahr‘n – und Frau Komoot sich TATsächlich erweichen lies. Also hüpften wir aufgeregt in eine Gondel des kleinen Nostalgiebähnchens, das uns auf die Sonnenalm, nahe der Kampenwand brachte.

Mittlerweile habe ich erfahren, dass die Bahn abgerissen und neumodern gebaut werden soll, was extrem schade wär und zudem große Umweltschäden nach sich ziehen würde. Es gibt eine Petition an den Bürgermeister und Gemeinderat von Rosenheim, die ich prompt unterzeichnet habe. Wenn sich also von euch jemand berufen fühlt…? Einfach googeln…

Oben angekommen, sprach mich Vera aus Speyer an, ob ich denn wisse, wo hier der Panoramaweg sei. Also, mit dem Panorama sei das so eine Sache, fing ich an … und lud sie dann erst einmal auf eine heiße Schokolade und eine Sahneschnitte auf der Sonnenalm ein. Die indes ist wenig almig, dafür schikimikidödeldö, so mit Loungebereich und Heizstrahlern (wie’s halt ist, wenn ne Bahn hochgeht) und rüstete sich zudem für eine Hochzeitsfeier.

Die fand dann auch prompt des Abends mit viel lauter Musik und lauten Menschen statt. Das Nicht-Hochzeits-Übernachtungsvolk hatte man in den Keller verbannt, wo wir jedoch immerhin vom Hochzeitsmenü profitierten und einen prima Plausch hielten.

Der Bembel für Sonntag geht an Johann Sebastian B. Großartige Musik für so einen Nebelsonntag!

Der Montagmorgen begann unausgeschlafen. Doch das Wetter war tatsächlich besser geworden und so startete ich recht früh Richtung Hochgernhaus: über 20 Kilometer und gaaanz schön viele Höhenmeter.

Am Wegesrand lungerte die Kampenwand mit dem sog. Chiemgaukreuz auf ihrem Gipfel. Sie zu besteigen war jetzt nicht unbedingt der Plan gewesen, zumal unten am Abzweig stand: Nur für geübte Bergsteiger, Schwindelfreiheit und Trittsicherheit notwendig. Aber Schweinehund war so schnell abgebogen, so schnell konnte ich gar nicht Stopp rufen – also Kampenwand. Und ja, schon … schon!

Schon steil, schon ausgesetzt, schon seilversichert (festhalten muss man sich ja immer noch selber). Und oben: Das Chiemgaukreuz, das mit 12 Metern höchste Bergkreuz der bayrischen Alpen: „Für die Gefallenen des Chiemgaus“ (womit wir wieder einmal bei einem meiner Lieblingsthemen wären: Gefallenen-Gedenkstätten.)

Da gefällt mir der bayrische Schüttelreim besser:
„I gangat gern auf d’Kampenwand, wann i mit meiner Wamp‘n kannt.“
“Ich ginge gerne auf die Kampenwand, wenn ich es mit meinem dicken Bauch könnte.“
Wir jedenfalls konnten – ja, auch Schweinehund, der ist ja trainierter, als er so zugeben mag – und genossen denn auch die atemberaubende Aussicht auf Chiemsee und Chiemgau. Allerdings holten wir uns bei der Gelegenheit und beim folgenden sehr steilen Abstieg Richtung hübschhübscher Alm auch einen gehörigen Muskelkater.

Zur Belohnung gab‘s ne Sahneschnitte und einen Almkräutertee. Nach der Einkehr kullerten wir bei einem herrlichen Sonne-Wolken-Mix bergab Richtung Marquartstein, immer mal wieder der Blick zurück auf den Gipfel der Kampenwand.

Nach der Kraftanstrengung kam uns die am Weg liegende kleine Sesselbahn gerade recht; rein in den Sessel und runter ins Tal. Dort war‘s eher zum Abgewöhnen, da sehr montag-ruhetäglich; dennoch machte ich eine Pause und nahm den Aufstieg Richtung Hochgernhaus erst gegen 16 Uhr in Angriff. Der tägliche Regen erwischte mich noch am allerersten Anstieg und machte den Schotterweg, auf dem es 800 Höhenmeter bergauf ging auch nicht besser. Das Gute: Danach kam die Sonne wieder raus und Ziehwege ermöglichen ein doch sehr kontinuierlich-meditatives Bergaufgehen; man kommt schnell voran.

Ich erreichte die Hütte klatschnass und dankbar und dann kam das, weswegen ich dieses Alleine-von-Ort-zu-Ort-Wandern liebe: Ein Abend, der unerwarteter nicht hätte sein können … und der – zugegeben – an seinem Ende etwas aus dem Ruder lief.

Zunächst war alles recht beschaulich. Die Hütte deutlich in die Jahre gekommen, die Hüttenwirtin (die dann doch keine war) recht zugewandt, die paar Menschlein in der Abendsonne auf der Terrasse freundlich-kommunikativ, der Blick zurück Richtung Kampenwand zufrieden und stolz machend zugleich.

Als sich dann erst vermeintliche Wirtin (hat nur einen Tag geholfen) und nach und nach auch die anderen Terrassengäste auf den Weg ins Tal machten, wurde deutlich: Ich werde hier heute Nacht alleine sein. Alleine? Nein, nicht ganz alleine. Außer mir war da noch Konstantinos (von allen genannt Kosta), der rumänische Hütten“beauftragte“, eine Mischung aus Quasimodo und dem Hausmeister an meiner alten Schule, recht wampig (wir wissen ja nun, was das heißt) und behaart, in einer unsäglichen Jogginghose auf Halbmast (angegammelte Schürze drüber), einem giftgrünen Lotterträgershirt und ebenfalls giftgrünen ausgelatschten Kroks. (Genau so habe ich ihn übrigens heute Morgen wiedergesehen…). Sein Deutsch: radebrechend!

Etwas ratlos blieb ich zurück. Ich hatte noch kein Bett, wollte gerne duschen und gegessen hatte ich auch noch nichts. Aber Kosta würde sich ja um alles kümmern. Aha. Ich versuchte es mit dem einfachsten, einem Bett. „Jo, suchst du aus, is olles frai.“, also stiefelte ich in den ersten Stock und traf auf eine Reihe in den 60er Jahren stehen gebliebener Mehrbettzimmer, von dem ich mir das hübscheste aussuchte. Nächster Punkt: Dusche. „Na, chaben nix!“, radebrechte Kosta. Ach so, schade eigentlich, so verschwitzt wie ich war. Aber gut, ist ja nix, was ich nicht kennen würde. Also mal eben am Waschbecken gewaschen, wobei der rote Punkt an der Armatur reine Dekoration war. Währenddessen grübelte ich, womit ich denn jetzt wohl den dann doch noch recht langen Abend füllen könnte. Kein Netz (von Wlan ganz zu schweigen) und nix zu essen: „Na, Kuche is jetzt zu – Faiachabend.“ Dem Stullengott sei Dank, ich hatte noch ein angeknabbertes Käsebrötchen im Rucksack.

Als ich die gerade noch sonnenbeschienene Terrasse wieder betrat, kam auf dem Schotterweg ein Mountainbiker angestrampelt. Wie wir wissen, sind das jetzt nicht gerade meine besten Freunde, aber in diesem Moment dachte ich nur: Gottseidank, ich bleibe nicht allein mit Quasi-Kosta. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich lediglich um einen verrückten Bayern aus dem Tal handelte, der mitnichten die Nacht dort oben verbringen wollte, sondern nur sein Abendtraining absolvierte und nach einem Kaltgetränk wieder gen Tal und heißer Dusche heizte.

Von ihm erfuhr ich, dass Kosta – das Original – hier alle kennen würden, er angeblich auf der Hütte seinen Erstwohnsitz hat (dort auch am Kachelofen kauernd überwintert), für alles (ALLES!) zuständig ist, einen sensationellen Kaiserschmarrn macht (schade, Kuche is zu) und neben der Hütte eine selbst gebastelte Corona-Test-Station betreibt.

Als wir so am Plauschen waren, kam ein zweiter Mountainbiker angeschnauft, und das war der Martl aus Griesstätt. Der wollte nicht nur auf der Hütt‘n übernachten, sondern auch noch zum Sonnenuntergang auf den Berg Hochgern (laut Ausschilderung: 1 Stunde). „Kimmst scho mit, Silke, des is schee.“

„Is schee…“ äffte Schweinehund augenrollend, immerhin hatten er ne Kampenwand in den Knochen. Aber man sollte Feste feiern wie sie fallen und Abendspaziergänge unternehmen, wie sie sich eben ergeben. Also los, Stiefelchen wieder an (der Meister ist in Turnschuhen rauf) und während sich am Himmel sensationelle Szenen abspielten, stiegen wir abends um acht nochmals eben auf den Hochgern, laut Martl „a guade halbe Stond.“ – jaja…

Monsieur marschierte gemessenen Schrittes voraus und erzählte währenddessen munter Geschichten aus seinem Leben (…). Tatsächlich konnte ich nur maximal die Hälfte verstehen, der Rest verschwand in den Untiefen des bayrischen Dialekts und in seinem nicht vorhandenen Bart. Oben (wir brauchten 50 Minuten; „a guade halbe Stond“, ist klar) war‘s nicht nur schee, sondern ARG schee oder um mit Martl zu sprechen: BÄRIG! Eine unglaubliche Stille, tolle Luft, großartiger Blick rundherum, und eine Bergwelt, die in der Nacht versank. Besonders nett: dieses kleine Kirchlein, das dort am Gipfel stand, mit ein paar Lichtlein und einer Bibel darinnen – und dem Gipfelbuch.

Auf dem Runterweg erzählte der Martl so wichtige Dinge wie beispielsweise, woran man erkennt, dass Kühe (es gab derer einige auf dem Weg) ihren Eisprung haben (sie schlupfen aneinander hin). Aaahja!

Wir erreichten die Hütte beseelt in der Dunkelheit, wo der Kosta mit Leberkäs und Bratkartoffeln auf uns wartete. Geht doch! (Ich glaub, der Martl und der Kosta sind ganz dicke!). Irgendwann nach dem zweiten Bier schlich Kosta ins Bett und Martl hinter die Theke, um die Schnapsflasche zu holen und irgendwo da lief das Ganze ein wenig aus dem Ruder.

Um es kurz zu machen, der Schnaps war lecker (alle weiteren auch) und der Sternenhimmel über unserer Hütte eine Sensation.

Der Bembel des gestrigen Tages geht an den Martl, mit dem ich einen ganz und gar bärigen Abend hatte da oben auf dem Hochgern.

Von noch mehr Höhenmetern und falschfalschen Abzweigungen muss dann leider morgen die Rede sein. Jetzt ist‘s spät und ich muss auch mal schlafen.

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