Bergrettung

Vorrede:
Frei nach Forrest Gumps Mama: „Wandern ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man bekommt.“ Manche Wandertage sind eher ein abgelaufenes Packerl Sarotti-Schokolade (siehe gestern), während andere ein wahres Feuerwerk an verschiedenen Schmankerln beinhalten. So ein Tag war heute.


Zum Auftakt hatten wir morgens erst mal RICHTIG bleierne Füße und Aussicht auf einen schwül-heißen Tag rund um den Dreisessel (Berg) sowie Gewitter am Nachmittag. Schweinehund verkroch sich beim Anblick der Tourenplanung (23 Kilometer bis Breitenberg und ja, doch einige Berg-Höhenmeter) sofort wieder hinter der Kaffeetasse. Um bei literarischen Zitaten zu bleiben, wünschte ER sich lieber eine Schachtel Schnapspralinen und eine launige Fahrt mit dem Überlandbus. Frau Komoot verdrehte schnaubend die Augen. Geworden sind es ca. 19 Kilometer inklusive einer kleinen Bergrettungsaktion, aber dazu später.

Wie immer marschierten wir erst mal los – Busfahrpläne wälzen konnte man später immer noch. Noch eben drei Postkarten nach Hause geschickt und mit dem Koch von gestern Abend geplaudert (er wünscht sich eine gute Bewertung bei Google, mache ich aber nicht, weil hab ich nicht, dafür erwähne ich an dieser Stelle noch einmal lobend die Spinat-Bärlauch-Knödel im Gasthaus Strohmeier in Haidmühle – sie sind ein Traum) und dann ging es los.

Frau Komoot machte gleich zu Beginn ein wenig gut Wetter, indem sie ein paar Highlights am Wegesrand verstreute, zum Beispiel die hübsche Marienkapelle und die Kreuzbach-Klause, samt dazugehörigem Triftsteig.

Besserwisserwissen:
Die Triftkanäle im Bayerischen und Böhmischen Wald (ich bin ja jetzt schon an einigen entlang gewandert) sind natürliche oder künstliche Wassergräben, die früher zum Abtransport des Holzes aus den Wäldern zur nächst größeren Wasserstraße dienten.

Entlang an hübsch dahin rauschenden Bächlein ging es dann hinauf auf den Dreisessel, der dort im Dreiländereck (Deutschland, Tschechien, Österreich) lungert. Dort war es zwar himmelgrau, aber dennoch mal wieder atemberaubend schön und aussichtsreich. Was für eine Landschaft, die die Natur da hingestellt hat!

Laut Familien-Chronisten war ich hier schon mal vor über 40 Jahren, damals, als hier noch der Eiserne Vorhang direkt über dem Dreisessel geschlossen war und halb Europa im touristischen Dunkel lag. Wir können alle froh sein, dass das der Vergangenheit angehört.

Danach hätte der Goldsteig durch das sog. Steinerne Meer geführt. Ich fand jedoch den Weg entlang der deutsch-tschechischen Grenze zur Dreieckmark (Dreiländereck) vielversprechender, also nahmen wir den. Und es war herrlich!

Kurz bevor ich wenig später wieder auf den Goldsteig stoßen sollte, stieß ich erst einmal auf ein verwirrtes altes Männlein, dass da im Wald stand. Das studierte fieberhaft die vielfältigen Ausschilderungen und sah mich bei meinem Eintreffen fragend an: Wie weit es denn wohl bis zum Parkplatz P1 oder P2 in Oberschwarzenberg sei; da würde sein Auto stehen.
Natürlich hatte ich keine Ahnung und fragte deswegen Frau Komoot, und während die rechnete, stellte sich heraus, dass der alte Mann schon gestern zu Fuß aufgebrochen war, sich im Wald verirrt und die Nacht unter einem Baum verbracht hatte. Ohne Essen, ohne Wasser, ohne Schlafsack, ohne alles.
Also gab ich ihm erst einmal Wasser und ein paar Kracker aus meinem Rucksack. Dann beschloss ich, den zittrigen Mann zu seinem Auto zu begleiten, weil ich ihn unmöglich hier im steilen Wald allein lassen konnte. Frau Komoot schätzte zweieinhalb Kilometer, und schnell wurde klar, dass es ewig dauern würde. Im Schneckentempo ging es über Stock und Stein, und auch die Forststraße, auf die wir bald stießen, beschleunigte unser Tempo nur unwesentlich.
Derweil erzählte das verwirrte Männlein extrem krude Geschichten (wie er selbst meinte, würden fehlendes Wasser und Essen seine Erinnerungen beflügeln) über seine Kindheit im Böhmerwald, das global agierende Unternehmen, das er – angeblich – früher leitete, von Kriegserlebnissen, seiner Zeit als Geheimagent, von seinem Aufeinandertreffen mit Freund Putin, kinderfressenden N…. und dergleichen mehr. Es war – gelinde gesagt – bizarr!

Ich überlegte fieberhaft, wie ich aus DER Nummer wieder rauskommen könnte. Wann würden wir erstens in diesem Schneckentempo jemals P1 oder P2 in Oberschwarzenberg erreichen, würde da, zweitens, überhaupt ein Auto stehen und wie könnte ich, drittens, das Männlein alternativ irgendwelchen Menschen übergeben, die sich mit sowas auskannten.
Da hörte ich Motorengeräusche und stellte mich mit erhobener, bitte-anhalten-Hand mitten auf den Weg. Im Auto saßen, wie ich später erfuhr, der Prälat emeritus von Haste-nich-gesehn (hohes Katholikentier) und seine Jäger-Freunde aus dem Salzkammergut. In kurzen Worten schilderte ich die Situation und bat darum, uns zu besagten Parkplätzen zu kutschieren. Gesagt, getan, wenn auch allem Anschein nach weniger aus angeborener Menschenfreundlichkeit, denn aus selbst auferlegtem Nächstenlieb-Gelübde.
Unausgesprochen hofften wir alle vier inständig, dass der Camper unseres Sorgenkindes tatsächlich am beschriebenen Parkplatz stehen würde. Und er tat es!
Durch Augenkontakt und kurzes In-den-Bart-Murmeln kamen wir überein, dass wir den guten Mann nun seinem Schicksal überlassen könnten, zumal der viel klarer geworden war, seit wir im Auto saßen. Ich hoffe, das war die richtige Entscheidung, und er irrt jetzt nicht schon wieder irgendwo durch Oberösterreich.

Der Prälat a.D. indes chauffierte mich noch nach Schwarzenberg und von dort schlich ich mich zurück auf den Goldsteig. Im Nachmittags-Nieselregen marschierte ich die restlichen sieben Kilometer bis nach Breitenberg und lüftete dabei gepflegt meine Gedanken aus. Und das war auch nötig, denn das waren heute ganz schön viele Pralinen!

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