Nachdem Schweinehund am Freitag Abend seinen Kumpel wiederhatte, trollten sich die beiden in die Weinberge und feierten ihr Wiedersehen. Eckart und ich machten das gleiche, gingen hübsch-halbhöhig essen und saßen danach noch Rotwein schlürfend auf unserem lauen Südtiroler Sommer-Hotelbalkon und störten mit unserem Geplauder die Nachtruhe unserer Nachbarn.
Klar, dass die Wandertruppe am Samstagmorgen NICHT zu der von unserem Hotel-Gastgeber erwarteten Zeit am Frühstückstisch saß, geschweige denn sich wanderbereit zeigte für die beiden finalen Etappen meines Wegs: Zwei Tage bis (kurz vor) Meran, insgesamt 27 Kilometer auf dem Meraner Höhenweg.
Und weil der Meraner Höhenweg nun mal in der HÖHE um die s.g. Texelgruppe (Berggruppe) herumführt, ging es von Naturns aus erst mal hoch. Bei der anhaltenden Hitze und noch etwas Rotwein-geschwängert beschlossen wir großzügig, die Gondelbahn für die ersten 700 Hm zu nehmen. In der Gondel spielten sich skurrile Szenen mit übereinander gestapelten bzw. verhakten Mountainbikes und ihren fachmännisch daherredenden Besitzern ab, so dass wir froh waren, der Enge zu ent- und auf den Weg zu kommen. Der begann publikumswirksam mit einer Aussichtsplattform hoch über dem Etschtalboden, die zu betreten mir persönlich doch mal wieder Einiges abverlangte. Und da nützen eben auch alle rationalen Argumente eines Mitwanderers nix – Höhenbammel bleibt Höhenbammel – doch die Aussicht war grandios, da gibt’s kein Vertun.
Der Weg, auf dem wir fortan dahinbummelten, schlängelte sich auf einer Höhe von ca. 1.500 Hm an den steilen Gras- und Waldhängen entlang und hielt schon kurze Zeit später das nächste Highlight für uns bereit: die Schlucht der 1.000 Stufen inklusive rekordverdächtiger Hängebrücken und erfrischender Wasserfälle.
Die Schweinehunde tobten voraus und auch wir hatten trotz der Hitze (selbst schuld, wer so spät losgeht) eine feine Zeit. Frau Komoot kann nämlich auch SEHR gut Jausenstationen (Jause: österreichisch für Zwischenmahlzeit) und andere Pausenplätzchen ausfindig machen, die Rest-Entfernung dorthin berechnen und eine Rest-Gehzeit veranschlagen. Immer, wenn wir dann in unserem doch recht gemäßigten Wandertempo des Weges kamen, saßen die Schweinehunde schon bei gespritztem Johann und Radler. Dann rutschten sie auf den robusten Holzbänken ein wenig zu Seite, überließen uns die Schattenplätze und wir versanken in andächtig-ausruhender Jausenstimmung und ließen die Wanderseele baumeln. Und Frau Komoot bekam ein Schnäpsle.
Überhaupt: die Jausenstationen. Diese bewirtschafteten Bergbauernhöfe werden mittels etwas vorsintflutlicher Bähnchen (nein, das ist KEINE Spielzeugbahn) aus dem Tal mit allem Nötigen versorgt, bieten den Wanderern neben wirklich bilderbuchhaftem Ambiente lecker-typische (Süd-)Tiroler Schmankerl und geizen auch nicht mit Zurschaustellung Alm-eigener Zuchterfolge. Welches wohl die Bewertungskriterien für die Böcke bei so einer Landes-Bockschau sind?
Die Lage der Höfe und die Neigung der Wirtschaftsflächen hierzulande ist schon schwer beeindruckend und veranlasste uns zu allerlei Überlegungen, mit welcher Kletter- und Sicherheitsausrüstung die Wiesen wohl gemäht, das Heu gewendet und eingebracht wird. Jenseits von diesen praktischen Fragen werden dadurch wie ich finde sehr hübsche geometrische Muster auf den Berg gezeichnet.
Wir kamen langsam voran, sehr langsam, denn es waren der Jausenstationen viele und wo keine war, jausten wir ohne Station mit dem rosafarbenen Trio aus Jausenbeutelchen (meine Lebensmitteltasche, die mich den ganzen Weg begleitet hat), Trinkflasche und Mannerschnitten. Dabei plauderten wir uns hierhin und dorthin und ich versuchte es mehrfach mit einer Art Resümee, was es war mit meinem Weg, jetzt, wo er zu Ende ging, was sich jetzt wieder ändern, was bleiben würde, doch das war gar nicht so einfach, weil ich ja noch mittendrin und alles so umwerfend toll und irgendwie jeder Tag ein besonderer, man wird wohl sehen, was es ist und war.
Bei der letzten Jausen-Pause des Tages genossen wir den sensationellen Blick über Meran und die Meraner Bergwelt sowie die Dolomitengruppen im Hintergrund bevor wir einen Links-Schlenker machten und ins Seitental Richtung Refugio Nasereit abbogen.
Nach einer weiteren von insgesamt acht Stunden (für lächerliche 14 Kilometer, INKLUSIVE Bahn, das macht eine schneckige Geschwindigkeit von 3,1 Stundenkilometern, aber das ist völlig piepenhagen, weil es nicht das ist, was zählt) traten wir aus dem Wald und da lag sie vor uns, meine letzte Herberge. Wanderkumpel Eckart hatte sie exzellent ausgesucht, das muss man schon sagen, ein Traum von einer Berghütte, nein, nicht hochalpin gelegen, jedoch wunderschön am glasklarkalten Gebirgsbach unterhalb des Wasserfalls, bewirtschaftet von entzückenden Wirtsleuten und bevölkert von allerlei biologisch-dynamisch-freilaufenden Viechern und Gemüsen, mit entzückenden Zimmerchen und leckerem Essen. Die Weinkarte gehört überarbeitet, das ist wahr, jedoch die Weißweinschorle, bei der wir zuletzt landeten, trug uns durch den Abend und unsere Gespräche.
Nebenbei hatten wir folgende Erkenntnisse:
– Der Planet Jupiter betritt mit Saturn im Schlepptau die abendliche Seitental-Himmelsbühne gegen halb zehn. Er tut dies von Osten her zwischen zwei Lärchenbäumen, durchschreitet das südliche Himmelszelt fortan, um nächtens (gegen eins) hinter dem westlichen Bergrücken zu verschwinden.
– Es gibt geostationäre Satelliten (für Kommunikation, Wetter, Fersehen) und es gibt die anderen, die über den Sternenhimmel flitzen, von denen wir nicht wissen, wofür DIE eigentlich da oben sind.
– Noch deutlich schneller flitzen Sternschnuppen, aber sie sind zu schnell, um sich gegenseitig darauf aufmerksam zu machen. (Ach, wirklich!?)
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Der nächste Tag begann nach einem leckeren Frühstück (wir waren wieder einmal die Letzten) mit einem kurzen und dann doch etwas längeren Abstecher zum Wasserfall, wo ich mich hinreißen ließ, in die eiskalten Fluten zu steigen, um meinen letzten Tag mit einem Tusch! zu beginnen und mich anschließend von der Sonne trocknen und wärmen zu lassen.
Danach zuckelten wir weiter auf dem Höhenweg, und ich tauchte ein in eine Mischung aus sommer-sonntäglicher Glückseligkeit und leichter Irritation darüber, dass da so wenig Wehmut und Traurigkeit war zum Beispiel darüber, dass der Weg nun zu Ende ging oder aber Euphorie, dass ich „es nun fast geschafft“ hatte. Es war einfach gut so wie es war.
Jedoch – für alle Fälle, um jedwede Wehmut im Keim zu ersticken – erwartete uns am Schutzhaus Hochgang der tanzende Hütten-Bär (immer wieder sonntags…) samt Blaskapellen-Holladriö und Rausschmeißer-Humptataa, einer tagestouristischen Badelatschen-Crowd und dem neuesten Chic aus Lederhosen, Filzhut und Mund-Nasen-Schutz. Es war einzigartig zum Abgewöhnen, und so hopsten wir nach einem Elektrolyte-nachschiebenden Kaltgetränk flugs weiter.
Und dann ging alles ganz schnell. Noch ein abschließender Blick ins Meraner Tal, bevor der Weg breiter und ausgetretener wurde und schon stand ich im Meraner Höhenwegs-Tor (jeder anständige Mehrtages-Weg, der was auf sich hält, braucht offensichtlich mindestens ein Tor). Eigentlich hatte Frau Komoot noch 1,5 Stunden aufm Zettel und eine Gondelbahn, die uns nach Dorf Tirol bringen sollte. Eckart jedoch, hatte eine Alternative entdeckt, die näher lag und die wir nun anvisierten – nun, da wir den Meraner Höhenweg eh schon hinter uns gelassen hatten.
Wir folgten dem Schild Bergbahnen (Korb- und Sesselbahn), erreichten eine etwas heruntergekommene Bergbahnstation, durchquerten einen Torbogen, bogen links ums Eck und standen auch schon vor dem Drehkreuz. Schwupps, bezahlt (was folgte, war das Geld auf JEDEN Fall wert) und auch schon vom Bergbahn-Fuzzi angewiesen: „Stellen‘S sich do hi, oiner do, oiner do und dann oifach aufspringa!“ (Wie … aufspringen?) Sprach‘s und schob uns auf die entsprechend markierten Stellen. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, was KORB-Bahn bedeutete, aber da war ich schon wie mit Geisterfüßen hineingesprungen in das Freiluft-Körbchen und Eckart hinterher, Türchen zu und Gute Fahrt! Erst nach ein paar Luftmetern wurde uns klar, was hier gerade passierte.
Wir standen doch tatsächlich in einem dieser oval-grünen Körbchen, aufgrund der sehr begrenzten Grundfläche ineinander und in unsere Rucksäcke (die wir noch auf dem Rücken hatten) verkeilt und kamen uns ein bisschen vor wie bei einer Grubenrettung – nur dass es steil abwärts und nicht aufwärts ging. Die Schweinehunde hingen kopfüber im Gestänge, ließen ihre Schweinehundmähne im Wind flattern und johlten aus tiefstem Herzen und Silke konnte ihr Glück kaum fassen – so ein Paukenschlag zum Schluss! Frau Komoot indes kicherte still in sich hinein.
Die zweite Bahn – eine Einer-Sesselbahn – brachte uns etwas unspektakulärer nach Algund nahe Meran. Dort marschierten wir ins nächste Hotel, wo uns freundlicherweise ein Taxi bestellt wurde, das uns wiederum recht unspektakulär – nein, nicht nach Meran – sondern zurück nach Naturns zu Eckarts Auto brachte.
Ich hatte nie ein konkretes Ziel und musste es deswegen auch nicht erreichen. Daher passt es irgendwie, dass ich Meran nicht GANZ erreicht habe, dass es insgesamt seit dem 1. Februar nicht GANZ 2.000 Kilometer und dass es 79 und gerade NICHT 80 reine Wandertage geworden sind seit Bremen. Denn das sind nur Zahlen – es ist etwas anderes, was zählt.
Der Rest des Tages war wie der mit glücklich machender Musik unterlegte Abspann eines RICHTIG GUTEN Films. Mit dem Auto zurück durchs Vinschgau (woher ich gekommen war), die Abendsonne im Gesicht und den Wind in den Haaren, links oben (irgendwo) der Ortler, hinauf auf den Reschenpass (wir erinnern uns), dort nochmals in den See gesprungen, und hinunter nach Pfunds (wir erinnern uns weiter), dort leckerst zu Abend gegessen und dann in der Dunkelheit zurück nach Deutschland. WAS für ein Finale!
Den allerletzten Bembel gibt‘s für euch, liebe Leute. Habt Dank für eure treu-lesende Begleitung, die lieben Rückmeldungen und unterstützenden Ermutigungen – es war mir eine Ehre, für euch zu schreiben!



































Und es war wunderschön und sehr unterhaltsam, Deine Erlebnisse zu lesen. Respekt für diese Tour.
Lieben Gruß auch an Deine treuen Begleiter Fraau Komoot und Schweinehund, 😉
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