Bilbao-Effekt

Als ich heute Morgen aus meiner Kapsel gekrochen war – trotz Höllentüren hatte ich erstaunlich gut geschlafen – und ans Tageslicht trat, wurde in den Nebenstraßen schon wieder lautstark für oder gegen irgendetwas demonstriert. Irgendwas ist ja immer.
Nach einem Café con leche tingelten wir los, um die Stadt zu erkunden, Frau Komoot mit dem Stadtplan voraus, Schweinehund und ich gutgelaunt hinterher. Zwar bin ich vor zehn Jahren schon mal im Guggenheim-Museum gewesen, habe aber nur wenig Erinnerungen an die Stadt Bilbao selbst. Relativ eindeutig kamen wir zu der Erkenntnis, dass Bilbao schon deutlich weiter in der strukturellen Wiederbelebung und Neuorientierung ist, als sagen wir mal: Avilés.

Unangefochten touristisches Zentrum ist das in den 1990er Jahren von Frank O. Gehry entworfene Guggenheim-Museum, das – natürlich – Kunst beherbergt.

Doch die Bilbanesen (es ist mir tatsächlich kurzfristig nicht gelungen zu googeln, wie die richtig heißen) hörten danach mit ihrer Stadt-Neukonzeption nicht auf, sondern engagierten lustig einen Star-Architekten nach dem anderen, zum Beispiel Sir Norman Foster für ihre futuristischen Metro-Stationen (siehe 3. Foto). So dekorierten sie ihre Stadt mit modernen Bauwerken, die eine perfekte Symbiose mit dem historischen Bilbao bilden. Der dadurch entstandene wirtschaftliche Boom wird, so las ich, mittlerweile „Bilbao-Effekt“ oder „Guggenheim-Effekt“ genannt. Aha!

Das Wetter war zwar mit 23 Grad recht warm, der Himmel aber leider hellmausgrau bedeckt. Natürlich hätte ich euch die Fotos gerne blau-himmlig präsentiert, aber wir wollen mal nicht undankbar sein; blauen Himmel hatten wir schließlich schon zu Genüge.

Nach den ersten 300 Metern der Stadterkundung sprang uns von links das Stadion von Athletic Bilbao an, und natürlich machten wir einen kleinen Abstecher und sandten Grüße nach Stuttgart zum fußballbegeisterten Neffen.
Als ich von dort weiterziehen wollte, sprach mich eine ältere Dame an, zeigte bestimmend auf einen kleinen Park und überschüttete mich mit einem Wortschwall. Was ich verstand: Ich solle da reingehen, es sei wunderschön! Was sie nun GENAU meinte, vermag ich nicht zu sagen, ja aber vielleicht die Athletic-behäkelten Bäume mit Fan-Parolen, wer weiß?!

Nächster Wegpunkt: Das Itsasmuseum. Das was?
Wir sind jetzt im Baskenland. Und die Basken – man kann es sich denken ob der Unabhängigkeitsbestrebungen (ETA und so) – machen hier ernst mit ihrer eigenen Sprache. Alles ist in erster Linie baskisch angeschrieben. Der Google-Übersetzer hat zwar erkannt, dass es sich um baskisch handelt, es ist ihm aber nicht gelungen, das Wort zu übersetzen. Später fand ich heraus: Es heißt Meeresmuseum. Schon lustig, diese Sprache hat teilweise so GAR nichts mit den benachbarten Sprachen spanisch und französisch zu tun. In meinen Augen und Ohren wirkt das manchmal eher wie finnisch oder ungarisch. Museo Maritimo also.
Dieses ließen wir links liegen und spazierten weiter Richtung „Casilda Iturrizar parkea“, dem Stadtpark. Dort herrschte träge Siestastimmung: Die aus dem Ei gepellte ältere Generation saß zufrieden auf Bänkchen oder betätigte sich sportlich im öffentlichen Raum, die Brunnen plätscherten gelangweilt vor sich hin und obendrauf gab’s ein wenig Alhambra-Stimmung in Form von Säulen und Torbögen.

Danach wurde es spannend. Meine Damen und Herren: das Guggenheim Bilbao.

Als ich drauf zu lief, dachte ich erst, ein paar durchgeknallte Jugendlichen hätten Pyro gezündet, denn um das Museum waberte vermeintlich Rauch. Der Rauch entpuppte sich als Nebel und der als Kunst der Künstlerin Fujiko Nakaya. Immer zur vollen Stunde wird der museale Bau in Nebel gehüllt, frei interpretiert: um Grenzen aufzulösen, gewohnte Sehweisen in Frage zu stellen, Sichtbares unsichtbar zu machen. Schweinehund war BE-GEI-STERT!

Nach diesem Erlebnis war ich auch gar nicht überrascht, als sich plötzlich ein Mensch vom Dach des Gebäudes abseilte.

Erst dachte ich: Dolle Show! Auch, weil einige Menschen applaudierten (wie lustig), ich glaube jedoch eher, das war ein schnöder Ingenieur, der die Dachkonstruktion auf mögliche Mängel überprüfte.
Wir besahen uns das Gebäude von allen Seiten, machten eine Unmenge Fotos und nutzten die vorzüglichen sanitären Einrichtungen. Drinnen geguckt wird erst morgen – denn dann hat sich Regen angekündigt.

Danach spazierten wir weiter am Rio Bilbao entlang Richtung Altstadt. Die dortige Mischung aus Alt und Neu, Skurrilitäten und Touristenkitsch, nordspanischer Laissez faire und Feierabendstimmung lullten uns wunderherrlich ein. Daher nahmen wir am Kanal ein kleines Bierchen und weil‘s so gut schmeckte noch ein zweites.

Danach kugelten wir bester Stimmung zurück Richtung Schlaf-Kapsel und brachten es damit tatsächlich auf fast 15 Kilometer heute.

Zum Abendessen im Raumschiff gab‘s noch eine Einlage aus der Kategorie „Verrückte in Spanien“. Als ich dort ankam, saß im Aufenthaltsraum schon ein spanisches Mädel aufm Sofa und fluchte lautstark vor sich hin. Im Eingangsbereich – ich hatte mich schon gewundert – hatte sich das große Aufgebot der Raumschiff-Besatzung versammelt und kaum saßen ich und zwei andere Hostel-Gäste beim Essen kamen noch vier Polizisten dazu (alles relativ klein und komplett offen hier). Unter viel Getöse und Geschrei – mal wieder – wurde die Arme mitgenommen. Der Hostel-Chef entschuldigte sich wortreich bei uns und fügte an: „Running a Hostel is like running a madhouse!“ Ja, das glaub ich ihm auf’s Wort! #augenaufbeiderberufswahl

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